Chancen und Risiken elektronische Produkte durch Dritte produzieren zu lassen

Dieser Beitrag zeigt neutral aber deutlich, wie man nachhaltig und erfolgreich seine Produktion verlagern kann und welche Probleme dabei auftreten können.

Viel wurde in der Vergangenheit über Outsourcing, d.h. Verlagerungen von Elektronik-Produktionen, berichtet. Oft einseitig und nicht im Interesse aller Beteiligten. Dieser Beitrag soll betroffenen Unternehmen neutral deutlich machen, wie man nachhaltig erfolgreich seine Produktion verlagern kann und welche Probleme dabei auftreten können. Sechs Regeln die oft unbeachtet bleiben sollen helfen, Probleme zwischen den Parteien zu reduzieren. Richtig angewendet kann Outsourcing die Wettbewerbslage und den Ertrag nachhaltig stärken.

Zunächst eine paar Begriffserklärung:
OEM (Original Equipment Manufacturer) sind Unternehmen mit eigenen Produkten, die in einer eigenen Fertigung oder durch Dritte produziert werden. EMS-Provider (Electronic Manufacturing Services) sind Unternehmen (Auftragsfertiger), die im Auftrag von Kunden (in der Regel OEM) Baugruppen und Produkte produzieren. Es gibt noch erweiterte Gruppierung z.B. EEMS, E2MS, MES die sich mit zusätzlichen Leistungsmerkmalen gegenüber den EMS unterscheiden. Alle vereint aber das Grundprofil, Produktion für Dritte.

Viele Outsourcing-Projekte erfüllen die gestellten Erwartungen nicht

Viel öfter als man es offiziell erfährt, erfüllen Outsourcing-Projekte nicht die an das Projekt gestellten Erwartungen oder scheitern sogar. Die Ursachen liegen bereits beim Beginn des Projektes und sind in der Regel viel öfter als man meint auf der Seite der OEM zu finden.

Die Probleme konzentrieren sich im Schwerpunkt auf folgende Themen:

  • Liefertreue
  • Lieferzeit
  • Gesamtkosten
  • Kulturdifferenzen
  • Technische Qualität
  • Nicht erfüllte Leistungsversprechen auf Kunden- und Lieferantenseite (OEM und EMS)

Ausgangspunkt:
Ein Unternehmen das plant seine Produktion zu verlagern, macht das in der Regel ein erstes Mal. Oft haben die davon betroffenen Mitarbeiter keine Erfahrung im Vorgehen innerhalb eines solch komplexen Projektes, keine Erfahrung im Projektmanagement, zu wenig Kenntnis über die Branche der Auftragsfertiger und stehen zusätzlich unter erheblichen Zeit- und Kostendruck. Mit dem Wissen, dass eine OEM – EMS Beziehung zu den kompliziertesten Geschäftsprozessen zweier Unternehmen gehört, ist diese Ausgangsbasis unerträglich und wie schon erwähnt die Basis vieler Verlagerungsprobleme.

Man konzentriert sich viel zu oft ausschließlich auf die Bewertung von Angeboten und auf die technischen Möglichkeiten der EMS Unternehmen. Sicher, ein Bestandteil einer sorgfältigen Verlagerungsarbeit, aber in der Regel nicht die Ursachen für die Problemfelder zwischen den Unternehmen.

Fast alle der oben aufgeführten Kernprobleme und deren Ursachen bleiben bei den markttypischen Auswahlprozessen unbeachtet. Zum Teil liegt das an der fehlenden Erfahrung aber oft auch an den internen Problemen der OEM. Es wird unterschätzt, dass wenn man im eigenen Unternehmen Probleme in einigen Prozessen hat, sich diese bei einer Verlagerung noch verstärken. Denn der OEM trägt seine Probleme in den EMS hinein und der kann sich nur schwer den Auswirkungen entziehen.

Es ist auch zu beobachten, dass bei einer erneuten Verlagerung von einem zum anderen EMS anfängliche Fehler, die für das Scheitern des Projektes verantwortlich sind, vom OEM wiederholt werden. Diesen Teufelskreis zu durchbrechen ist das Ziel dieses Artikels und der Fachseminare des Autors. Aber wie führt man nun einen Outsourcing-Prozess zu einem gegenseitigen Erfolg?

Sechs wichtige Regeln für erfolgreiches Outsourcing

Erste Regel des Erfolges:
Nehmen sie eigene Prozessprobleme ernst. Versuchen Sie sie vor der Verlagerung abzustellen, bzw. nutzen Sie dazu zur Unterstützung auch den Auftragsfertiger. Er kennt in der Regel vielfältige Prozessvarianten und ist in der Lage sie umzusetzen. Nur wenn die internen Prozesse beider Unternehmen optimal aufeinander abgestimmt sind, kann ein Outsourcing-Projekt erfolgreich realisiert werden.

Praxisbeispiele für kritische Prozesse:

  • Projektmanagement
  • Produktentwicklungsprozesse
  • Produktbestellprozesse
  • Forecast-Prozesse
  • Umgang mit veränderten Materialwiederbeschaffungszeiten
  • Abkündigungsprozesse von Materialien und Produkten
  • Produkt Ein- und Auslaufprozesse

Man erkennt schnell den hohen Einfluss von nichttechnischen Themen. Das große Know-how in den technischen Bereichen und der Umgang mit technologischen Weiterentwicklungen kann als gutes Beispiel für die Optimierung der nichttechnischen Unternehmensprozesse dienen.

Zweite Regel des Erfolges:
Nur eine Geschäftsbeziehung auf Augenhöhe kann den Erfolg zwischen OEM und EMS sicherstellen. Nehmen Sie die Hinweise des EMS ernst. Ermuntern Sie Ihn zu einer kreativen Zusammenarbeit, lassen Sie Kritik zu. Viele EMS verfügen über umfangreiche Ideen, Kosten zu reduzieren. Die Umsetzung kann allerdings oft nur gemeinsam erfolgen, da für viele Lösungen die Zustimmungen des OEM notwendig sind.

Praxisbeispiel für Kosten- und Prozessoptimierungen:

  • Auswahl von Bauelementeherstellern
  • Auswahl von Bauelementen
  • Auswahl von Rohmaterialien (LP Basismaterial, Kunststoffe etc.)
  • Nutzung von Standardtechnologien des EMS
  • Gemeinsame neue Technologieentwicklung
  • Übergreifende Prozesskonzepte

Der Auftragsfertiger ist ein Sonderhersteller. Er produziert ausschließlich kundenspezifische Produkte. Die gegenseitige Abhängigkeit ist ungewöhnlich hoch. Eine weitere Verlagerung von einen bisherigen EMS zu einem neuen EMS ist zwar möglich aber kosten- und zeitaufwändig (mindestens 3 bis 6 Monate). Sie sollte daher unbedingt vermieden werden, d.h. jede erste Verlagerung muss erfolgreich sein und das für beide Seiten der Geschäftsbeziehung. Daher gehört zusätzlich zu einem guten Leistungsprofil auch Vertrauen und Respekt zwischen den Geschäftspartner, d.h. Geschäft auf Augenhöhe.

Dritte Regel des Erfolges:
Eine wichtige Erkenntnis die oft übersehen wird ist die Regel ‚Gesamtkostenvorteil geht vor Preisvorteil im Abgabepreis‘. Denn die Leistungen die erbracht werden, müssen getragen werden und das auf jeder Seite des Geschäftsprozesses.

Praxisbeispiel für unbeachtete Kostenfaktoren:

  • Betreuungsaufwand
  • Technischer Änderungsdienst
  • Eskalation durch Prozessstörungen
  • Expresslieferungen – Eildienst

Unternehmen die diese Leistung erbringen, müssen die Kosten einkalkulieren, sichtbar oder unsichtbar. Wer meint die Kosten fallen nicht an, der irrt. Daher sollte jeder Einkäufer darauf achten was er vergleicht. Genau betrachtet kann man für einen günstigen Abgabepreis einen hohen Gesamtpreis bezahlen. Denn, haben Sie mal errechnet was eine schlechte Liefertreue im Endresultat kostet? Der Kostenvorteil durch einen sehr guten Abgabepreis ist bei solchen Lieferanten schnell verbraucht. Gleiches gilt für Serviceleistung, Betreuungsaufwand, etc.

Oder wer sich einem Eilzuschlag verweigert, fördert die Mischkalkulation. Die OEMs sind sich bei dieser Entscheidung nicht bewusst, dass sie möglicherweise die Kosten des Wettbewerbs mit tragen. Will man das?

Vierte Regel des Erfolges:
Stimmen Sie sich regelmäßig mit Ihrem Auftragsfertiger ab. Besuchen Sie sich gegenseitig in Abständen von 3 bis 6 Monaten. Analysieren Sie lfd. Probleme und suchen Sie gemeinsame Lösungen. Nehmen Sie den Auftragsfertiger inhaltlich mit, bei Produktneuentwicklung, Produktauslauf, Marktveränderungen und strategischen Unternehmensausrichtungen. Die betroffenen Unternehmen haben nur gemeinsam Erfolg, dazu müssen sie sich auch inhaltlich verstehen und gemeinsam an der Optimierung arbeiten.

Praxisbeispiel für Kosten- und Prozessoptimierung:

  • Qualitätsprobleme von Zulieferern
  • Ursachen für Lieferstörungen
  • Qualifizierung und Zulassung neuer Hersteller
  • Information und Abstimmung zu Unternehmens- und Prozessänderungen
  • Neuentwicklungen

Fünfte Regel des Erfolges:
Binden Sie Ihren Auftragsfertiger frühzeitig in Ihre Entwicklungsaktivitäten ein. Stellen Sie sicher, dass sich seine Beratung nicht nur auf die fertigungstechnischen Belange sondern ebenfalls auf die materialwirtschaftlichen und qualitätstechnischen Belange bezieht. Eine erfolgreiche Produktentwicklung konzentriert sich nicht nur auf die Sicherstellung von Produktfunktionen sondern auch an der erfolgreichen Umsetzung in den nachfolgenden Unternehmensprozessen. Dazu werden die Weichen in der Entwicklung gestellt.

Dazu noch ein Hinweis:
Der Simultaneous Engineering Prozess (Produktentwicklung mit Einbindung aller der Entwicklung nachgelagerten Funktionsbereiche) ist ein in Deutschland oft unbeachteter Prozess. Das ist unverständlich, da bei modernen Elektronikprodukten die Material- und Fertigungskosten oft bei bis zu 80 bis 85% aller Produktkosten liegen. Das Unternehmen das hier offen ist für Änderungen in dem Produktentwicklungsprozess, generiert überproportionale Wettbewerbs- und Ertragsvorteile.

Praxisbeispiel für Kosten- und Prozessoptimierung:

  • Nutzen von Vorzugsherstellern und Vorzugsmaterialien
  • Vermeidung von Exoten
  • Sicherstellung von 2.-Source-Möglichkeiten beim Materialien und Herstellern
  • Gemeinsame Vertragsaktivitäten
  • Frühzeitige Einbindung in Muster und Serienbestellung
  • Optimierte Fertigungs- und Prüfkonzepte
  • Fertigungsgerechtes Leiterplattenlayout

Sechste Regel des Erfolges:
Treiben Sie gemeinsam die Unternehmen durch Innovation in allen Geschäftsprozessen zu einem nachhaltigem Erfolg. Die Chancen durch Ausweitung der Fachkompetenz und des Blickwinkels über die Unternehmensgrenzen hinaus sind enorm hoch und können helfen, eine Fertigungsverlagerung nachhaltig erfolgreich zu gestalten.

‚Made in Germany‘ ist aktueller denn je

Zum Schluss noch ein letzter Hinweis:
Made in Germany ist kein Begriff der Vergangenheit. Made in Germany, d.h. erfolgreiche Produktion in Deutschland auf ganzheitlich hohem Niveau, ist möglich und in den meisten Fällen sinnvoll. Der Produktionsstandort Deutschland ist, wenn er auf dieser Basis richtig genutzt wird, kein Auslaufmodell. Lassen Sie uns den Produktionsstandort Deutschland zum Standortvorteil machen. Das einzige was dafür notwendig ist, ist ein ehrlicher Wille zu qualifizierter ganzheitlicher Zusammenarbeit. Mehr dazu können Sie am 27. Juni 2012 auf dem 10. Würzburger EMS-Tag erfahren.

Autor: Hubertus Andreae*, dreiplus

Redakteur: Johann Wiesböck

* Hubertus Andreae ist ein anerkannter Experte in der Elektronikwelt. Er hat tiefgreifende Erfahrung sowohl in der OEM- wie auch in der EMS-Branche. Diese konnte er durch technische und nicht technische Verantwortung in namenhaften Unternehmen sammeln. Seit über 8 Jahren berät er als unabhängiger Experte für Prozessoptimierungen mittelständische Unternehmen in der deutschen Elektronikindustrie. In dieser praxisgerechten Beratungstätigkeit konnte er viele Unternehmen in einen nachhaltigen Erfolg führen. Zusätzlich stellt er sich der Weiterbildung z.B. im FED (Fachverband für Design, Leiterplatten- und Baugruppenfertigung) und ist regelmäßig Referent auf unterschiedlichen Fachveranstaltungen.

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