Die 7 Voraussetzungen für die Prozessvernetzung

Erfolgsfaktoren für Auftragsfertiger - Teil 6

Die Prozesskette war noch nie so dynamisch wie heute und eine qualifizierte Prozessvernetzung oder Supply Chain Management (SCM) so wichtig für den Erfolg im EMS-Geschäft. Prozessexperte Hubertus Andreae erklärt, welche Voraussetzungen der EMS-Anbieter für die Prozessvernetzung braucht und warum.

Supply Chain Management (SCM) hört sich selbstverständlich an – flächendeckend Realität ist SCM, die funktionierende interne und externe Prozessvernetzung über alle Fachbereiche und Unternehmensgrenzen hinaus bezogen auf relevante Geschäftsprozesse, Daten und Sachzusammenhänge, allerdings nicht.

So sind die aktuellen Versorgunsengpässe bei den elektronischen Bauelementen und Leiterplatten maßgeblich eskaliert, weil Frühwarnsignale nicht erkannt und auf die wechselseitigen Bedinungen nicht reagiert wurde.

SCM ist ein Prozess- und Kulturwechsel mit dem Ziel, Prozesse zu optimieren, Leistungsmerkmale zu verbessern, Kosten zu reduzieren und die Kundenzufriedenheit zu erhöhen. Dazu müssen die folgenden 7 Voraussetzungen erfüllt sein.

Voraussetzung 1: Übergreifende Zusammenarbeit

Prozessvernetzung setzt eine übergreifende Zusammenarbeit voraus. Nur wenn diese Erkenntnis vorhanden ist, lässt sich das notwenige Know-how aufbauen. Meine Empfehlungen dafür sind:

  • SCM endet nicht an der Bereichs- oder Firmengrenze.
  • Gemeinsame Lösungen bestimmen den Erfolg und nicht suboptimale Eigenoptimierungen z.B. OEM zum EMS.
  • Für einen qualifizierten SCM-Prozess muss man die Prozesskette und deren Zusammenhänge kennen und verstehen.
  • Man muss offen sein, auch einen eigenen Beitrag für die Optimierung zu leisten.
  • Risikominimierung in der ganzen Kette hat Vorrang gegenüber der ausschließlich eigenen Risikominimierung.
  • Ein qualifizierter SCM-Prozess ist nicht statisch, er muss immer wieder den wechselnden Bedingungen angepasst werden.

EMS-Firmen empfehle ich: Lassen Sie sich nicht zum widerspruchslosen Umsetzer der Kundenwünsche machen! Bringen Sie ihr Know-how ein, zum Wohle der Kunden und zu Ihrem Vorteil!

Voraussetzung 2: Ehrlicher Informationsaustausch

Tauschen Sie ehrlich und offen die Ihnen vorliegenden Informationen aus, egal ob es Ihr Kunde oder Lieferant ist. Es wird Ihnen nicht helfen, Ihrem Geschäftspartner unrealistische Planungen vorzulegen. Viele Beispiele bestätigen mir immer wieder: Nicht der Stärkere sondern der Intelligente und Qualifizierte ist der Erfolgreiche.

Meine Empfehlung:

  • Sprechen Sie offen ihre geschäftspolitischen und prozesstechnischen Stärken und Schwächen an!
  • Informieren Sie Ihren Geschäftspartner über Risiken (Bedarfe, Projekte etc.)!
  • Teilen Sie Änderungen offen und kurzfristig mit!
  • Versetzen Sie Ihren Geschäftspartner in eine Position Ihnen mit seinen Stärken zu helfen!
  • Seien Sie glaubwürdig! Es wird Ihren Geschäftspartner motivieren, denn diese Ehrlichkeit ist viel wert. Es ist nicht nur eine Chance für Ihren Geschäftspartner, es ist auch eine Chance für Sie.

Voraussetzung 3: Schnelle Reaktionsfähigkeit

Eine qualifizierte Prozessvernetzung erzeugt die Fähigkeit, schneller auf Veränderungen reagieren zu können. Schnelligkeit heißt in diesem Zusammenhang:

  • Die Möglichkeit die notwendigen Veränderungen abzubilden, z.B. Änderungen von Kundenbedarfen, Bestellbedarfen, entsprechende Anpassungen, Umterminierungen.
  • Die Planungshorizonte müssen den Versorgungslagen entsprechen, d.h. Anpassung der Kunden- und Materialbestellungen an die aktuellen Materialwiederbeschaffungszeiten.
  • Um diese Dynamik sicherzustellen, müssen innerhalb der Prozesskette Prozesssensoren (Kennzahlen) den IST-Zustand abbilden, um schnell einen Handlungsbedarf sichtbar zu machen.
  • Die Bereiche und Mitarbeiter müssen sich dieser schnellen Reaktionsfähigkeit stellen.
  • Jegliche Verzögerung z.B. Auftragsanlage oder Auslösungen von Materialbestellungen müssen verhindert werden. Stunden maximal wenige Tage sind zulässig. Weitere Verzögerungen schwächen nachhaltig die Prozesskette.
  • Lassen Sie es allerdings innerhalb der Schnelligkeit nicht an Qualität fehlen.

Voraussetzung 4: Kurze Prozesszeiten

Ein guter Gratmesser für die Reaktionsschnelligkeit ist das Verhältnis zwischen den fertigungstechnischen Zeiten und den Prozesszeiten in den vorgelagerten Prozessen. In vielen Fällen haben wir heute Fertigungszeiten die eine Produktfertigstellung in wenigen Stunden oder 1 bis 2 Tagen ermöglichen – wohlgemerkt oft hightech. Dem gegenüber stehen operative vorgelagerte Prozesszeiten von 5,10 oder mehr Tagen (Materialwiederbeschaffungszeit ausgeklammert). Mir werden diese Zeiten zu selten in Frage gestellt. Gerade in Deutschland werden wir im Konflikt mit den Kosten nur durch Schnelligkeit punkten.

Meine Empfehlungen:

  • Messen Sie Ihre Prozesszeiten, aber nicht nur in der Fertigung!
  • Suchen Sie die Gründe, warum Einkäufer erst 5, 10 oder gar 20 Tage nach einem Kundenauftragseingang alle Materialbestellungen platzieren konnten!
  • Warum dauert es Wochen, um einem Kunden eine mehr oder weniger zuverlässige Auftragsbestätigung auszustellen?
  • Wenn Sie Ihre Zeiten kennen, was wird getan um diese Zeiten zu verkürzen?

Oft haben lange Prozesszeiten mit den Arbeits-Tools, der fehlenden Transparenz und der fehlenden Prozessschnelligkeit (ERP-Systemen) zu tun. Besonders im ERP-System liegt eine Lösung für den Erfolg.

Voraussetzung 5: Leistungsfähiges ERP-System

Die geforderte Schnelligkeit und Dynamik ist mit üblichen Methoden nicht mehr ab bildbar. Ein qualifiziertes ERP-System ist die Voraussetzung für die umfassende Leistungsstärke innerhalb der Prozesskette. Standardprozesse der Vergangenheit, z.B. manuelle Planung und Bedarfsrechnung, manuelle Bestellauslösung und manuelle Einphasung in die Unterschriftenregelungen stehen nicht für diese Dynamik und Schnelligkeit.

Mein Tipp: Prüfen Sie kritisch Ihr ERP-System auf Alltagstauglichkeit und nutzen Sie die IT-Systeme, um Ihr Leistungsprofil nachhaltig auszubauen. Gute ERP-Systeme bieten Ihren Mitarbeitern mehr Unterstützung. Das können sein:

  • Automatisierte Fertigungsplanungsprozesse,
  • Intelligenten Prüfungsprozesse im Auftragsmanagement,
  • Ereignismeldungen – das System meldet Handlungsbedarf an die betroffenen Mitarbeiter,
  • Automatisierte Mahnprozesse für AB‘s, Lieferungen etc.,
  • Automatisierte Einspielung von Stücklisten etc.,
  • Unterstützungs-Tools für Angebotskalkulationen.

Ein gutes ERP-System ist nur so gut wie Ihre Daten und Prozesse. Sorgen Sie auch hier für eine stabile Qualität. Und nutzen Sie ein ERP-System und Softwarehäuser, die mit Forderungen der Elektronikbranche vertraut sind.

Voraussetzung 6: Ganzheitliche Logistik

Informations-, Material- und Prozesslogistik muss fein in die Prozesskette einjustiert werden. Das ist kein einfaches Unterfangen. Viele Beteiligte unterschätzen die Wechselwirkung, wenn „Kettenglieder“ gestört sind. Wieder einige Hinweise zur Optimierung:

  • Der Einkauf muss Losgrößen, Rahmenverträge und Abnahmeverpflichtungen der Kunden kennen. Das ist die Basis seines Handelns;
  • Zeitverzögerungen in der Vermittlung von Veränderungen sind zu vermeiden. z.B. Auftragsverschiebungen, Auftragsreduzierungen, Auftragsstornierungen etc. Schnelles Handeln erhöht die Chancen der eigenen Anpassung ohne Schaden zu verursachen.
  • Umfangreiche Logistiksysteme erhöhen die Schnelligkeit und reduzieren das Risiko z.B. Konsignationslager, Vorratshaltung bei den Lieferanten etc.
  • Zeitsparende EDV-Anbindungen zwischen EMS und OEM/Lieferanten ermöglichen schnelles Handeln. Dagegen werden klassische Bestellungen pro Artikelnummer mit umfangreichen Freigabeprozessen im Unternehmen den schnellen Märkten nicht mehr gerecht und binden zu viele Ressourcen.
  • Und: eine qualifizierte Lieferkette ist nicht die Aufgabe einiger weniger Bereiche. Fast alle sind betroffen und keiner kann sich dieser Aufgabe entziehen: Vertrieb, Produktionsplanung, Einkauf, Fertigung, Kunden, Lieferanten. Nur die qualifizierte Einbindung aller, sichert den Erfolg.

Voraussetzung 7: Klare, verbindliche Regeln

Jede Kette die qualifiziert aufgebaut wird, bedarf klarer Prozessregeln und Verantwortlichkeiten. Haben sie schon mal in Ihrem Unternehmen gefragt, wer für die eigene Liefertreue verantwortlich ist. Das Ergebnis wird Sie überraschen.

Legen Sie daher folgende Regeln fest:

  • Prozesse und Prozesszeiten,
  • Zuständigkeiten,
  • Anforderungen innerhalb der Kette,
  • Messgrößen, die eine Selbst- und Fremdbewertung zulassen,
  • Eskalationsmechanismen.

Und stellen sie sicher, dass die Regeln klar festgelegt und eingehalten werden. Eine typische Schwäche sind Abweichungen von den Vorgaben, die still schweigend einschwingen.

Machen Sie mit diesen 7 Punkten die Prozessvernetzung zu einem wesentlichen Standbein ihres Erfolges!

„Richtig umgesetzt ist Supply Chain Management für Elektronikproduzenten ein wirksamer Hebel, um wettbewerbsfähig zu bleiben.“

Hubertus Andreae, dreiplus

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