Einkäufer müssen zum Prozessmanager werden

Einkaufsprozesse beim Baugruppenproduzenten

„Der Einkauf bei den Baugruppenproduzenten steht vor einer vollständigen Neuausrichtung“, betont Prozessexperte Hubertus Andreae, dreiplus – praxisbegleitende Innovationsförderung. Verantwortlichkeiten, die weit über Liefertermine und Materialpreise hinausgehen, bestimmen das neue Tätigkeitsprofil des Einkäufers, der sich zum Prozessexperten wandeln muss. Zu seiner Aufgabe Leiterplatten und elektronische Bauteile zu beschaffen, kommen Preis-, Lieferanten- und Logistikmanagement.

Die Anforderungen an Baugruppenproduzenten werden immer anspruchsvoller: kurze Lieferzeiten, günstige Abgabepreise, Risikoübernahme, Zuverlässigkeit, Schnelligkeit bei hoher Prozesssicherheit und -qualität sind nur einige Beispiele. Einkauf und ganzheitliches Materialmanagement sind daran maßgeblich beteiligt und für den größten Kostenblock eines Baugruppenproduzenten verantwortlich: 65 bis 75% macht der Materialanteil an den Gesamtkosten einer elektronischen Baugruppen aus.

Allerdings bilden die Einkaufsorganisationen und -konzepte bisher nicht die hohe Dynamik und Anforderungen von heute ab. Prozessverkettung, Lieferantenmanagement und die Prozessunterstützung durch die verwendeten IT-Systeme sind unzureichend. Dieses Defizit ist erkennbar an schlechten Prozesskennzahlen und Prozessstörungen:

  • Lagerreichweiten von 3 bis 4 Monaten,
  • Materialkomplettierungsgrad von geplanten Aufträgen von <80% vor Fertigungsstart,
  • Liefertreue auf Basis einer Auftragsbestätigung von <70%,
  • Angebotskalkulationen, die durch zu teures Material nur zu ca. 20% zu Aufträgen führen,
  • Materialabschreibungen von 5 bis 10% pro Jahr,
  • Fertigungsprozessstörungen verursacht durch Materialwirtschaftsprobleme,
  • Wareneingangsdurchläufe von 1 bis 3 Tagen,
  • Materialgemeinkosten, die mit 10 bis 20% nur knapp die laufenden Kosten abdecken,
  • Preisschwankungen innerhalb von den Vertragslaufzeiten,
  • zu lange Materialwiederbeschaffungszeiten,
  • kein ABC-differenziertes Beschaffungs- und Lagermanagement.

Beispiel aus der Praxis: Leiterplattenbestände

Leiterplatten sind in der Regel sehr spezifisch, qualitätskritisch und teuer. Sie gelten in der Materialwirtschaft als „Super-A-Teil“, das unter größter Kostenbetrachtung und Materialflussbeobachtung steht (stehen sollte). Die Wirklichkeit sieht oft anders aus:

Leiterplatten haben durchschnittliche Lagerreichweiten von 3 bis 6 Monaten oder länger. Die Ursache dafür ist vielfältig, aber abstellbar. Die Einkaufsaufgaben müssen ausgeweitet werden in Lieferantenmanagement, Wiederbeschaffungsmanagement, Verhandlung von Losgrößen und Rüstkosten usw. Mit dem Schwerpunkt reines Beschaffungsmanagement, wie es heute immer noch verstanden wird, kann man diese Probleme nicht lösen.

Die Hebel sind Materialwirtschaft, Transparenz in den Materialflussprozessen, das andere Lagermanagement, ein anderes Auftragsmanagement, kostengünstige Einkaufsprozesse und geeignete IT-Systeme.

Der neue Einkäufer ist ein Prozessmanager für den größten Kostenblock im Unternehmen. Er managt der Material- und Finanzfluss innerhalb und außerhalb des Unternehmens – zielsicher, kompetent und streitbar. Er ist kein Verwalter, er ist ein Gestalter, der den neuen Einkauf abbildet. Er ist neben diesen Punkten aber auch sensibel was seine eigenen Ressourcen betrifft. Er baut Lösungen auf, die ihm zeitlichen Freiraum schenken für diese neue Arbeit. Er nutzt intelligente ERP-Systeme und entwickelt die Lieferanten weiter.

Das Ergebnis: Lieferverzüge, fehlende AB’s und leidige Diskussionen über zu große Verpackungseinheiten gehören der Vergangenheit an. Die Lagerbestände haben sich halbiert, Reichweiten von 1,5 bis 2 Monaten (6 bis 8 turns) sind üblich und die Preise sind erheblich wettbewerbsfähiger.

Erschienen im Sonderheft der Fachzeitschrift “ElektronikPraxis – Bauteilbeschaffung & Supply Chain Management I” – Juli 2009

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