Einkaufsprozesse beim Baugruppenproduzenten

Ganzheitliche Materialwirtschaft schließt Preis-, Lieferanten- und Logistikmanagement ein

Der Einkauf bei den Baugruppenproduzenten steht vor einer vollständigen Neuausrichtung. Verantwortlichkeiten, die weit über Liefertermine und Materialpreise hinausgehen, bestimmen das neue Tätigkeitsprofil des Einkäufers, der sich zum Prozessmanager wandeln muss. Zu seiner Aufgabe Leiterplatten und elektronischen Bauteile zu beschaffen, kommen Preis-, Lieferanten- und Logistikmanagement.

Die Anforderungen an Baugruppenproduzenten werden immer anspruchsvoller: kurze Lieferzeiten, günstige Abgabepreise, Risikoübernahme, Zuverlässigkeit, Schnelligkeit bei hoher Prozesssicherheit und Prozessqualität sind nur einige Beispiele. Einkauf und ganzheitliches Materialmanagement sind daran maßgeblich beteiligt und für den größten Kostenblock eines Baugruppenproduzenten verantwortlich: 65 bis 75% macht der Materialanteil an den Gesamtkosten einer elektronischen Baugruppe aus.

Allerdings bilden die Einkaufsorganisationen und Einkaufskonzepte bisher nicht die hohe Dynamik und Anforderungen von heute ab. Prozessverkettung, Lieferantenmanagement und die Prozessunterstützung durch die verwendeten IT-Systeme sind unzureichend. Dieses Defizit ist erkennbar an schlechten Prozesskennzahlen und Prozessstörungen:

  • Lagerreichweiten von 3 bis 4 Monaten,
  • Materialkomplettierungsgrad von geplanten Aufträgen von <80% vor Fertigungsstart,
  • Liefertreue auf Basis eigner Auftragsbestätigung von <70%,
  • Angebotskalkulationen, die durch zu teures Material nur zu ca. 20% zu Aufträgen führen,
  • Materialabschreibung von 5 bis 10% pro Jahr,
  • Fertigungsprozessstörung verursacht durch Materialwirtschaftsprobleme,
  • Wareneingangsdurchläufe von 1 bis 3 Tagen,
  • Materialgemeinkosten, die mit 10 bis 20% nur knapp die laufenden Kosten abdecken,
  • Preisschwankungen innerhalb von den Vertragslaufzeiten,
  • zu lange Materialwiederbeschaffungszeiten,
  • kein ABC-differenziertes Beschaffungs- und Lagermanagement;

Beispiele aus der Praxis

Beschaffungsprozesse:
Wenn man Einkäufer fragt, wie weit wendet ihr in der Beschaffungsstrategie und den Einkaufsprozessen ABC-Kriterien an, dann erhält man fast immer die Aussage: „Das wird von unserem ERP-System nicht unterstützt“. In einem meiner letzten Einkaufsseminare konnten nur 20% der beteiligten Unternehmen ABC-Bedingungen in ihrem ERP-System abbilden.

Die Folge ist, alle Teile werden beschaffungstechnisch gleich behandelt. Innerhalb der Vielzahl an Artikeln gibt es keine Möglichkeit, die Ressourcen sinnvoll zu steuern. Keine Bedarfszusammenfassung nach ABC-Bedingungen, kein Lagermanagement nach ABC-Bedingungen, keine Preisverhandlungen nach ABC-Bedingungen, nur um einige Beispiele zu nennen. Dass diese ABC-gesteuerten Funktionen allerdings die Grundlage für alle aufbauenden logistischen und kaufmännischen Prozesse ist, wissen die Fachleute. Auch die sinnvolle Verwendung von Ressourcen, spielt in dieses Thema hinein. Das ist auch der Grund, warum viele Einkäufer immer wieder sagen, ich habe keine Zeit. Die ERP-Systeme verarbeiten zwar Massendaten, sind aber um „Lichtjahre“ von dem Prozessmanagement entfernt.

Leiterplattenbestände:
Leiterplatten sind in der Regel sehr spezifisch, qualitätskritisch und teuer. Sie gelten in der Materialwirtschaftswelt als „Super-A-Teil“, das unter größter Kostenbetrachtung und Materialflussbeobachtung steht (stehen sollte). Die Wirklichkeit sieht oft anders aus: Leiterplatten haben durchschnittliche Lagerreichweiten von 3 bis 6 Monaten oder liegen noch länger im Lager. Die Ursache dafür ist vielfältig, aber abstellbar. Die Einkaufsaufgaben müssen ausgeweitet werden in Lieferantenmanagement, Wiederbeschaffungsmanagement, Verhandlung von Losgrößen und Rüstkosten usw.. Mit dem Schwerpunkt reines Beschaffungsmanagement, wie es heute immer noch verstanden wird, kann man diese Probleme nicht lösen.

Der neue Einkäufer ist ein Prozessmanager

Die Hebel sind Materialwirtschaft, Transparenz in den Materialflussprozessen, das andere Lagermanagement, ein anderes Auftragsmanagement, kostengünstige Einkaufsprozesse und geeignete IT-Systeme.

Der neue Einkäufer ist ein Prozessmanager für den größten Kostenblock im Unternehmen. Er managt den Material- und Finanzfluss innerhalb und außerhalb des Unternehmens – zielsicher, kompetent und streitbar. Er ist kein Verwalter er ist ein Gestalter, der den neuen Einkauf abbildet. Er ist neben diesen Punkten aber auch sensibel was seine eigenen Ressourcen betrifft. Er baut Lösungen auf die ihm zeitlichen Freiraum schenken für diese neue Arbeit. Er nutzt intelligente ERP-Systeme und entwickelt die Lieferanten weiter.

Das Ergebnis: Lieferverzüge, fehlende AB´s und leidige Diskussionen über zu große Verpackungseinheiten gehören der Vergangenheit an. Die Lagerbestände haben sich halbiert, Reichweiten von 1,5 bis 2 Monaten (6 bis 8 turns) sind üblich und die Preise sind erheblich wettbewerbsfähiger.

Ergänzendes zum Thema:
Seminare vermitteln Blick für die gesamte Prozesskette und gegenseitige Einflußgrößen

Der Fachverband FED hat sich vor mehr als 3 Jahren den Themen Einkaufs-, Material- und Prozessmanagement angenommen. Die Seminare „Innovation Einkauf kompakt“ und „Professionelle Beschaffung von Baugruppen“ mit dem Prozessexperten Hubertus Andreae laufen seit 2006 erfolgreich und wurden ab 2009 modifiziert. Aktuell werden drei Veranstaltungen angeboten:

  • Einkauf im Wandel – ganzheitliche Materialwirtschaft
  • Professionelle Beschaffung elektronischer Baugruppen
  • Prozessinnovation unter Einbindung von ERP-Systemen

In den Managementseminaren werden Einkäufer systematisch auf die heutigen Herausforderungen vorbereitet und lernen neue Lösungen kennen. Die Teilnehmer erhalten das notwendige ganzheitliche Prozesswissen, einen Blick für die ganze Prozesskette und die gegenseitigen Einflussgrößen.

„Wenn man diese Verständnishürde genommen hat“, so der Seminaleiter, „ist es in der Regel nur systematische Detailarbeit: Bestellmethoden werden geändert, Kennzahlenmanagement eingeführt, Lieferantenmanagement etabliert und Logistikkonzepte angewendet.“

Autor: Hubertus Andreae, dreiplus – praxisbegleitende Innovationsförderung

Redakteur: Claudia Mallok

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