Elektronikfertigung hat in Deutschland eine Chance (ElektronikPraxis – Die Mutmacher)

Branchenkenner Hubertus Andreae, dreiplus – praxisbegleitende Innovationsförderung, sieht eindeutig Chancen für Elektronikdienstleister, um in Deutschland erfolgreich zu produzieren. Vorausgesetzt die Baugruppenproduzenten optimieren ihre Prozesse genau für die Produkte und Anforderungen, die hierzulande vorhanden sind.

Die Chancen in Deutschland erfolgreich zu produzieren sind eindeutig vorhanden. Allerdings müssen sich die Elektronikproduzenten auf die Produkte und Pakete, die in Deutschland zur Produktion zur Verfügung stehen, einstellen:

  • mittlere und kleine Volumen,
  • hohe Variantenvielfalt,
  • häufiger Produktwechsel,
  • gehobene Technologien,
  • höchster erforderlicher Qualitätsstand,
  • ausgeprägter Kostendruck und
  • Anforderungen an eine kurze Lieferfähigkeit und Lieferzuverlässigkeit.

Die Kombination dieser Anforderungen scheint auf den ersten Blick gegensätzlich. Tatsächlich sind sie es nicht.

Die Lösung liegt im Vertrieb, im Einkauf, in der Fertigung und bei den EDV-Tools

Voraussetzung ist, die technischen und prozesstechnischen Leistungsmerkmale aller Unternehmensprozesse zusammenzuführen. Das erfordert ein anderes Vorgehen als bisher üblich – zumindest in den mittelständischen Unternehmen. Die Ganzheitlichkeit oder wie ich es oft nenne, die Arbeit am gesamten Prozessbild, ist zwingend erforderlich.

Wir müssen verstehen, dass neben der technischen Innovation die ganzheitliche Prozessstärke der Unternehmen der entscheidende Wettbewerbsvorteil ist. Liefertreue und kurze Lieferzeiten können einer unserer größten Wettbewerbsvorteile sein. Die kann man allerdings nicht anordnen. Die Prozesssicherheit muss im Detail hart erarbeitet werden.

Zudem müssen die Kunden und Lieferanten sehr eng mit eingebunden werden. Zu guter Letzt muss das Wissen über die Prozesse und der gegenseitigen Einflussgrößen auch den Mitarbeitern vermittelt werden, denn nur wenn dort das Wissen vorhanden ist, wird dieser Prozess auch stabil gelebt.

,Made in Germany‘ muss für alle Prozesse im Unternehmen gelten

Die Detailarbeit in den gesamtheitlichen Unternehmensprozessen ist mindestens genauso wichtig wie die FMEA, Maschinenfähigkeitsuntersuchung und vieles andere was auf der technischen Seite in den Unternehmen geleistet wird. Dieser Geist der für mich das Qualitätssiegel ,Made in Germany‘ darstellt, muss für alle Prozesse im Unternehmen gelten.

Und noch ein Grund warum man sich mit den indirekten Unternehmensprozessen befassen sollte: Diese Prozessoptimierung erhöht nicht nur das Unternehmensleistungsgefüge. Es reduziert auch erheblich die Kosten, die Risiken und erhöht somit den Ertrag.

Ich möchte mein Konzept der Unternehmensoptimierung an zwei Beispielen näher erklären.

Es fängt an im Auftragsmanagement, den Methoden der Auftragsprüfung und Auftragsterminierung. Wenn man durch geeignete Systeme und Verfahren bereits beim Auftragseingang die richtige Auftragsterminierung bestimmt, dann haben wir einen enormen Unternehmensvorteil.

Beispiel 1: Materaialwirtschaft

Zum einen wird die Kundenauftragsbestätigung innerhalb weniger Tage exakt bestimmt und der Einkauf beschafft das Material nicht zu früh aber auch nicht zu spät. Es werden dadurch nur wenige 2. oder 3. Kunden AB‘s notwendig und keine Lagerbestände aufgebaut.

Um das noch etwas deutlicher zu machen, ein kleines Rechenbeispiel:

4 Wochen Material zu früh im Unternehmen, bedeutet bei einem Materialverbrauch im Jahr von 12 Mio., 1 Mio. zu hoher Lagerbestand. Wir sprechen aber immer wieder nicht nur von einem Monat Lagerbestandsreichweite sondern von 3 bis 4 Monaten, d.h. 3 bis 4 Mio. in unserem Beispiel. Grund genug sich mit diesem Thema eingehend zu beschäftigen.

Auch bedarf es bei qualifizierter Terminierungsarbeit im Vorfeld erheblich weniger Eskalationsprozesse in der Produktion die zum Teil hausgemacht sind und erhebliche Kapazitäten verbrennen. Die Einflussfaktoren für dieses Vorgehen sind u.a. die Materialwiederbeschaffungszeiten, Fertigungsdurchlaufzeiten, Fertigungskapazitäten und geeignete EDV-Tools. Zusätzlich müssen auch einige weitere Standardregeln im Unternehmen festgelegt sein, welche die Konfliktlage zwischen dem Vertrieb und den anderen Fachbereichen reduzieren.

Beispiel 2: Kennzahlen und IT-Systeme

Wir leiden in mittelständischen Unternehmen an der Knappheit von Kennzahlen. Wir wissen einfach nicht, wo wir stehen. Wir erkennen zu spät wo exakt die Störgrößen im Prozess verborgen sind und leiten dadurch auch keine Abstellmaßnahmen ein.

Als Innovationspool können die Lagerbestände wertvolle Erkenntnisse liefern. Man muss sich nur detailliert mit den Bestände auseinandersetzten und die Ursachen suchen.

  • Wir müssen die Ursachen für Material ausfindig machen was z.Z. keinen Bedarf hat.
  • Wir müssen wissen, welches Material keinen Stücklistenbezug hat.
  • Wir müssen wissen, warum Material eine Reichweite von 3, 6, 9 Monaten hat, obwohl wir auftragsbezogen einkaufen.

Wenn wir dieses Material identifiziert haben, brauchen wir die Ursache, um dann Maßnahmen einzuleiten, die den aktuellen Schaden mindert, aber noch wichtiger, die eine Wiederholung ausschließen.

Die Voraussetzungen dafür sind, ausreichende Bearbeitungskapazitäten, Prozess-Know-how der bearbeitenden Personen und wieder geeignete EDV-Tools.

Das Risiko, das ich dabei sehe, ist das wir eine entscheidende Innovation blockieren, fleißig mit viel Kraft versuchen das Tagesthema zu lösen und die grundsätzlichen Problemlösungen auf der Strecke bleiben. Die Folge ist, unser Leistungsprofil in Deutschland entspricht nicht der Höhe unserer Kosten und unzufriedene Kunden wandern ab. Denn sie sagen sich, wenn ich schon nicht alle Leistungsansprüche, die ich an meinen deutschen Produzenten stelle erfüllt bekomme, dann suche ich mir einen Produzenten der zumindest billiger ist. Diese Haltung kann man nur zu gut verstehen.

Autor: Hubertus Andreae

Redakteur: Claudia Mallok

Erschienen am 23.06.2009 in der Fachzeitschrift “ElektronikPraxis – Die Mutmacher” – Ausgabe 12/2009

Vielen Dank. Sie erhalten einen Download-Link per E-Mail.

Artikelinformationen

Kostenlos downloaden