Kosten- und Erfolgsfaktoren

Optimierungen in den nicht technischen Prozessen stärken nachhaltig die Fertigung am Standort Deutschland

Zu oft unterschätzen EMS (Electronic Manufacturing Service Provider) die Auswirkungen der indirekten und nicht technischen Prozesse. Dabei schlagen gerade an dieser Stelle die höheren Lohn- und Gehaltskosten in den Unternehmen und die höheren Risiken bei Prozessproblemen in der Materialwirtschaft auf. Da das Material mit einem Anteil von 65 bis 75% den größten Kostenfaktor einer Baugruppe darstellt, müssen Baugruppenproduzenten die Materialprozesse ebenso im Griff haben wie ihre Lieferkette. Wer also künftig in Deutschland erfolgreich produzieren will, muss die nicht produktiven Prozesse mit der gleichen Konsequenz und Nachhaltigkeit (weiter)entwickeln und kontinuierlich modifizieren wie die technischen Abläufe.

Hubertus Andreae*

Gemeinkosten (Kosten die nicht direkt einem Produkt zugeordnet werden können, siehe Kasten) gehören in den heutigen Kalkulationen neben den Materialkosten zu den größten Kostenfaktoren bei einem Auftrags­fertiger (EMS). Man stellt jedoch immer wieder fest, dass den Gemeinkosten wie auch der Materialwirtschaft nicht die entsprechende Priorität eingeräumt wird. Um auch künftig in Deutschland erfolgreich produzieren zu können, müssen gerade diese Kostenfaktoren einen strategischen Stellenwert bekom­men und müssen mit der gleichen Konsequenz und Nachhaltigkeit wie die technischen Prozesse entwickelt und kontinuierlich modifiziert werden. Materialwirtschaft und Personalkosten haben einen erheblichen Einfluss auf die Gemeinkosten. Da das Material mit ei­nem Anteil von 65 bis 75% den größten Kostenfaktor darstellt, hat der Material­gemeinkostensatz (MGK) am Abgabe­preis den größten Hebel. Was allerdings gerne vergessen wird, sind die überall einstrahlenden Lohnanteile die nicht direkt dem Produkt zuzuordnen sind. D.h. Lohnanteile aus Beschaffungs­prozessen und anderweitigen Organisa­tionsprozessen wie Fertigungssteuerung, Kundenkoordination, Eskalationsmana­gement und Angebotskalkulationen. Genau an dieser Stelle gilt es den Hebel anzusetzen. Hier treten die hohen Lohn­kosten innerhalb der EMS auf und damit ein wesentliches Potenzial für Kostenreduzierungen. Das Erfolgsrezept heißt Optimierung durch innovative Prozesse, die nicht oh­ne weiteres durch Billiganbieter in Ost­europa kopiert werden können. Jede unternehmerische Handlung ist mit Risiken verbunden. Allerdings sollte je­dem bewusst sein, umso höher ein Risi­ko eingegangen werden muss, umso größer sollte auch die Ertragschance sein.

Die Gründe sind:

Vorleistungen der EMS

■ Der Dienstleister geht in Vorleistun­gen mit der Materialbeschaffung;

■ hält Mitarbeiterkapazitäten vor;

■ trägt hohe Investitionen für Maschi­nen und Gebäude.

Risikopotenziale der EMS

■ Kundeninsolvenz,

■ Kundenabwanderung,

■ Projektentzug,

■ Produktprobleme,

■ kein Markterfolg des Kunden­produktes,

■ er kann, ohne vertragliche Verein­barungen, kurzfristig seinen Kunden­auftrag verlieren,

■ Abschreibungsgefahren für nicht mehr verwertbares Material.

Alle diese Punkte stellen bei einer unzu­reichenden vertraglichen Vereinbarung oder Absicherung des Projektes ein hohes Risiko auf der Materialseite dar.

Hauptrisikofaktor Materialwirtschaft

Denn überall dort wo der Produzent bereits Material eingekauft hat, ist er in eine erhebliche Vorleistung gegangen. Die Hoffnung, Material für andere Kun­den aufzubrauchen, erfüllt sich nur sel­ten, da A- und B-Teile in der Regel kun­denspezifische Teile sind und sie keine oder nur geringe Wiederverwertbarkeit haben. Bei einem Materialanteil von 65 bis 75% ist das das Hauptrisiko eines EMS, das er mit seiner geringen Ertragschance von ca. 3 bis 5% nicht abdecken kann. Das heißt nicht, dass der EMS seine Kalkulation ändern soll. Er sollte sich davor hüten von unten nach oben zu kalkulieren. Vielmehr sollte er seine Prozesse im eigenen Unternehmen und im Gesamtkonzert der Supply Chain optimieren, um den Markterwartungen gerecht zu werden. Das allerdings ohne Einschränkung der eigenen Ertragskraft.

Das heißt, wie bei einem neu zu entwickelnden Produkt die Kosten „top down“ entwickeln, um das Produkt oder in diesem Fall die Produktionsleistung erfolgreich vermarkten zu können. Um also hier ein unternehmerisch interessantes Geschäft zu tätigen, muss man die Materialprozesse und die dazugehörige Lieferkette (siehe Beitrag „Baugruppen professionell einkau­fen“, Ausgabe 9/2006) wirksam im Griff haben. Das heißt, Verpflichtungen müssen in der Kette Kunden – Produzent – Lieferant professioneller untereinander verzahnt und vereinbart werden. In der Regel sind die Kunden und Lieferanten erheblich größer und stärker aufgestellt als die EMS. Auch wenn sich jeder von Risiken befreien will, können sie nicht allein dem „kleinen“ EMS übergestülpt werden. Zwischen EMS und OEM sind gegenseitige Verpflichtungen zu vereinbaren. Zusätzlich müssen auch die Lieferanten mit eingebunden werden. Das ist auch zweckmäßig, da ihr Bauelemente-Kundenmarkt erheblich größer ist und es dadurch stärkere Kundenalternati­ven d.h. weitere Abnahmepotenziale für nicht mehr verwertba­res Material gibt. Das gilt natürlich nur für Standardmaterial. Für spezifisches Material muss man andere Lösungen finden.

Chancenverteilung für Materialverwendung

OEM: keine eigene Produktion – keine alternative Verwendung von Bauteilen;

EMS: 50 bis 200 Kunden – geringe Wieder­verwendungschance von den A- und B-Teilen;

Bauteillieferant: mehrere 1000 Kunden mit einer erhöhten Wiederverwertungschance.

Um die Materialverantwortlichkeiten inner­halb der Materialflüsse besser zu organisieren bedarf es aber klarer Absprachen zwischen den OEM, EMS und den Lieferanten. Sollte ein Baugruppenproduzent diese Grund­regeln nicht einhalten, muss er mit größeren Materialverschrottungen d.h. Materialab­schreibungspositionen rechnen. In Deutschland sind das oft zwischen 5 bis 10% des Lagerbestandes pro Jahr, was einen Hauptbestandteil der Ertragsschwäche aus­macht. Diese wirken direkt ertragsmindernd oder der Materialgemeinkostensatz erhöht sich. Hier werden oft Abschreibungsanteile eingerechnet. Da der MGK prozentual dem Materialanteil (dieser liegt zwischen 65 bis 75%) hinzugerechnet wird, hat er einen enormen Hebel.

Weitere Kostenanteile im Material­gemeinkostensatz (MGK) sind:

■ Einkauf (Bestellhäufigkeit, Bestellpositio­nen, Bestellaufwand, Bestelländerungen, Not­beschaffung, Preisverhandlungen, logistische Prozesse, EDV-Tools, Angebotskalkulationen),

■ Wareneingangsprozesse (Kennzeich­nung, Verpackung, Materialhandhabung, Räumlichkeiten),

■ Lagerungsprozesse (Lagerposition, Lagerflächen, Materialhandhabung),

■ Lagerfinanzierung (Finanzierungskosten, Kapitalbindung).

Bei der Einrechnung aller Kostenfaktoren haben wir als typischen Wert in Deutschland 10% bei Großserien und einen ansteigenden Materialgemeinkostensatz von bis zu 30% bei Kleinstserien. Auch wenn nicht alle Unternehmen diese Kostenblöcke im Materialgemeinkostensatz einrechnen, so entstehen diese Kostenanteile. Diese heißt es zu optimieren, um die Wettbe­werbslage zu verbessern.

OEMs, die behaupten 10% sind zu hoch, stimme ich zu. Großserienprodukte stehen oft unter einem hohen Kostendruck und müssen erheblich kostengünstiger produziert werden (siehe Grafik oben). Eine reine Forderung nach z.B. 5% MGK reicht jedoch bei weitem nicht aus. Auch der OEM muss seinen Beitrag zu einem geringen MGK leisten, d.h.

■ klare Regelung für die Übernahme von Restmaterialien,

■ Rahmenverträge abschließen – länger­fristige Planbarkeit ermöglichen,

■ längerfristige Auftragsverpflichtung eingehen,

■ „berechenbare“ Bedarfsdynamik.

Jeder dieser Blöcke hat direkten Einfluss auf den MGK. Sind diese Eckpunkte wie bei eini­gen OEM-EMS-Geschäftsverbindungen klar geregelt, dann ist eine Win-to-Win-Situation aufgebaut, die beiden Partnern nachhaltig hilft.

Weitere Kostenanteile in anderen Gemeinkosten

■ Technische Änderungen

Jede technische Änderung bedarf Maßnah­men beim EMS. In der Regel sind es Ände­rungen im Einkauf, in der Arbeitsvorbereitung, in der Qualitätssicherung und Fertigung, d.h. Änderungen in Stücklisten, Bestückplänen, Programmen. Änderungen wird es immer ge­ben, aber man sollte auch hier kostensensibel vorgehen. Die Häufigkeit der technischen Änderungen die viele EMS leisten müssen, deutet eher darauf hin, dass sich die Entwick­ler der OEM über die Auswirkungen nicht bewusst sind. EMS stellen Änderungskosten oft nicht in Rechnung, was aus Kundenorien­tierungssicht gut, aus Gesamtkostensicht aber falsch ist. Was nichts kostet wird nicht sen­sibel betrachtet. Die Folgen sind, hohe Ände­rungshäufigkeit, hohe Lohnaufwendungen beim EMS und ein erhöhter Gemeinkosten­satz verteilt im Gießkannenprinzip.

■ Eskalationsmaßnahmen

Notbeschaffungen und Expressfertigungen sind genauso zu betrachten. Sie finden häufig statt, werden aber in der Regel nicht berechnet und binden in Größenordnungen Kapazitäten im Einkauf, in der Ferti­gungssteuerung und in der Fertigung. Jeder Leiterplattenhersteller berechnet dafür Sonderzuschläge von bis zu 100%, was in der EMS-Branche leider nicht üblich ist. Damit werden die Dienst­leister allerdings in eine Gemischtkalku­lation getrieben. Alle Produkte, alle Kunden müssen die Kosten tragen was natürlich dem Fertigungsstandort nach­haltig schadet. Es wird Zeit dieses falsche Verfahren zu ändern. Damit werden Sonderprojekte die einen hohen Aufwand erzeugen teurer (das erhöht beim OEM den Druck für eine Prozessoptimierung hin zum Standardprozess) und reduziert die Kosten bei den Standardprodukten. Es gibt Unternehmen, die dafür werben alle Kundenwünsche zu erfüllen und flexibel zu sein. Das ist richtig und sehr bedeutsam für den Fertigungsstandort Deutschland. Flexibilität muss aber auch seinen Preis haben. Die Kosten muss derjenige tragen der Sondermaßnahmen notwendig macht. Kostendruck erzeugt Leidensdruck und der erzeugt ein Prozessoptimierungsklima das wir dringend brauchen.

Ein Maß für die Prozessaufwendungen

Gemeinkosten sind Kosten die nicht direkt einem Produkt zugeordnet werden können. Sie spiegeln sehr stark die Prozessaufwendungen eines Unternehmens wider. Die angewandten Kalkulationsmodelle in den Unternehmen sind allerdings sehr unterschiedlich und daher oft nur schwer vergleichbar. Nicht immer werden Kostenfaktoren den gleichen Gemeinkostensätzen zugeordnet. Man unterscheidet aber grundsätzlich zwischen

■ Materialkosten,

■ Fertigungsgemeinkosten,

■ Vertriebsgemeinkosten.

Allen Gemeinkosten liegen übergreifende Einflussfaktoren zu Grunde, die man erkennen muss um die Bedeutung von Prozessoptimierungen richtig zu bewerten. In die Gemeinkosten gehen u.a. ein:

Lohnkosten

Beschaffungsprozesse Warenflussprozesse Lagerorganisationen Fertigungsorganisationen Angebotskalkulationen EDV-Tools

Finanzkosten

Logistikkonzepte/SCM Lagerbestände Lagerreichweiten Finanzkraft Eigenkapital Zinssätze

Risikofaktoren

Materialabschreibungen Beschaffungsprozesse Lagerbestände Supply Chain Management (SCM) Vertragsvereinbarungen EDV-Tools

Der Aufwand lohnt sich

„Wir brauchen in Deutschland wieder ein Klima der Innovation. Die Volumen die wir hier zu Lande produzieren, benötigen eine starke Prozessvernetzung der gesamten Supply Chain, um Kosten zu reduzieren. Wir müssen stärker an der Optimierung aller Prozesse arbeiten.

Endlich muss ein Gleichklang zwischen der technischen und kaufmännischen Innovationsfähigkeit entstehen. Den erheblichen Rückstand bei der Innovation kaufmännischer Prozesse müssen wir aufholen. Dafür bedarf es aber dem Verständnis der Unternehmensführung und einer konsequenten harten Arbeit aller Dachbereiche. Denn die Probleme sind nicht über Nacht abzustellen.

Die Folgen aus den Versäumnissen der letzten Jahre liegen heute in den Materiallägern mit durchschnittlichen Reichweiten von 3 bis 6 Monaten in Einzelfällen mit Reichweiten von 12 bis 24 Monaten. Um diese abzutragen, Prozesse neu auszurichten, um neuen Aufbau von Lagerbeständen zu vermeiden und weitere Prozessoptimierungen zu realisieren, benötigt es oft 1 bis 2 Jahre harter konsequenter Arbeit. Doch der Lohn ist erstrebenswert und bewirkt stattliche Ertragshebel. Der Lohn ist aber auch eine echte Zukunftschance für die Unternehmen und damit für jeden Arbeitsplatz. Das sollte ausreichend Antrieb für jeden in den Unternehmen sein – auch das kann man unter „made in Germany“ verstehen.“ (Hubertus Andreae, dreiplus)

Anregung für Optimierungsmaßnahmen

In den beiden ersten Teilen unserer Beitragsreihe (Ausagbe 6 und 9/2006) hat Hubertus Andreae die Prozesse bei der Auswahl eines Baugruppenproduzenten (EMS) und die Prozesse der Zusammenarbeit zwischen EMS und OEM behandelt. In diesem 3. Teil der Serie standen die Kostenauswirkungen von Prozessen im Mittelpunkt. Das Augenmerk liegt dabei auf den indirekten Prozessen, da deren Auswirkungen, anders als bei den Produktionsprozessen, oft unterschätzt werden. Hinzu kommt, dass gerade in den nicht produktiven Prozessen, die höheren Lohn- und Gehaltskosten anfallen und die höheren Risiken bei Prozessproblemen in der Materialwirtschaft wirken.

Dabei könnten natürlich nur einige Fallbeispiele von vielen Störgrößen in den Unternehmen behandelt werden. Trotzdem sollten diese Beispiele Anregungen für Optimierungen aufzeigen. Dabei ist deutlich geworden, dass Kosten- und Ertragsprobleme in Deutschland nicht zwingend gegeben sind und man durch sensibles Prozessdenken und -handeln in einem Hochlohnland durchaus erfolgreich produzieren kann. Als Basis dafür gilt natürlich der Grundsatz, man muss bei allem was man tut, OEM und EMS seitig, am ganzen Bild arbeiten. Einseitige Optimierungen sind nicht nachhaltig und führen nicht zum gemeinsamen Erfolg. Der Fachverband Elektronik Design (FED) hat zu diesem speziellen Thema seit Jahresbeginn 2006 Managementseminare aufgesetzt. In diesen Veranstaltungen gehen die erfahrenen Experten tiefer auf diese Themenkreise ein und schildern und erläutern praxisbezogene Lösungen. Zudem bieten die Seminare die Möglichkeit zum Gedanken- und Wissensaustausch.

Huberts Andreae ist einer der erfahre­nen Experten, die auf dem 4. Würz­burger EMS-Tag am 6. Juli 2006 Lösungswege aufzeigen, wie sich Elektronikproduzenten erfolg­reich behaupten können. Nutzen Sie diese Gelegenheit und seien Sie dabei! Die Agenda finden Sie im Internet unter www.elektronikpraxis.de > Aktionen.

*Hubertus Andreae optimiert Prozesse in den nicht produzierenden Unternehmensbereichen wie Material­wirtschaft, Vertrieb und Controlling bei OEMs und EMS-Providern und führt zu diesem Thema Seminare veranstaltet vom FED durch.

dreiplus Tel. +49(0)30 84417913

Redakteur: Claudia Mallok

ELEKTRONIKPRAXIS NR. 12 – 16. Juni 2006

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