RoHS ist ein A-Projekt

Die Umstellungszeit effektiv nutzen und typische Fehler vermeiden

Seit zwei Jahren wird über die Zusammenhänge der Umstellung auf RoHS (Restriction of Hazardous Substances) für die Unternehmen als Ganzes informiert und aufgeklärt. Trotzdem wird die Tragweite noch immer unterschätzt oder das Projekt falsch angegangen. Dies kann die Unternehmen nachhaltig schädigen. Die RoHS-Umstellung birgt ein erhebliches Risiko, aber auch Chancen: Die Chance durch Prozessanpassungen in den nicht technischen Bereichen den Unternehmensertrag zu steigern, Wettbewerbsvorteile zu sichern und Deutschland als Fertigungsstandort wieder attraktiv zu machen.

Hubertus Andreae*

Würde man zur Beschreibung des Status der RoHS-Umstellung eine Formulierung aus dem Wetterbericht heranziehen, könnte man sagen, der tatsächliche Projektfortschritt entspricht oft nicht dem gefühlten Projektstand. Die meisten Unternehmen beschäftigen sich mit der RoHS-Umstellung aber alle haben Probleme – die Kleinen wie die Großen. Den Kleinen fehlt es oft an Know-how und Kapazitäten; die großen Unternehmen werden oft erschlagen von der Vielfalt an Produkten und Ein­zelmaterialien. Aber auch Aussagen der Projektleiter, „ Das Projekt ist im Termin­plan“, „es werden keine zusätzlichen Ressourcen benötigt“, „Risiken sind nicht ersichtlich“, sollten sehr mit Vorsicht betrachtet werden. Die Folgen von falscher Projekteinschätzung führen zur falschen Beruhigung der Geschäfts­leitung und später zu nachhaltigen Schäden für die Unternehmen. Ein Unternehmen, das elektronische Baugruppen entwickelt und fertigt, sollte das RoHS-Projekt in zweierlei Hinsicht angehen:

  • 1. Technologisch fertigungstechnische Qualifikation ist die Basis für einen be­rechenbaren Umstieg ohne nennens­werte Qualitätsrisiken. Mit diesem Thema beschäftigen sich viele Experten erfolgreich und ich bin sicher, dass die Unternehmen in der Regel hier gut und wettbewerbsfähig aufgestellt sein werden. Aber es ist noch einiges dafür zu tun.
  • 2. Prozesstechnische Qualifikation außerhalb der Fertigung mit Schwer­punkt Materialwirtschaft. Hier liegt die Hauptschwierigkeit! In diesem Beitrag werde ich stärker auf Punkt 2 eingehen und Problemzonen bzw. Fehler im Projekt aufzeigen. Meine Arbeit bei den Unternehmen in Bezug auf die RoHS-Überleitung bzw. Prozessoptimierung zeigt, dass oft der richtige Einstieg fehlt. Voraussetzung für den richtigen Einstieg sind zwei Faktoren:
  • 1. Eine breit angelegte Qualifizierung fast aller Mitarbeiter.
  • 2. Ein umfassender Projektplan.

Manpower und Qualifikation

Oft nehmen nur vereinzelt Mitarbeiter an einer Qualifizierungsmaßnahme teil. Die sind aber anschließend nicht in der Lage, die Informationen breit im Unternehmen weiter zu vermitteln. Durch das entstehende Wissensvakuum innerhalb der verschiedenen Fachbereiche ist ein Fehlstart des Projektes programmiert. Der nächste Schritt ist der notwendige umfassende Projektplan. Es ist dringend zu empfehlen, einen Projektplan unter Einbindung aller Fachbereiche zu erstel­len. Dieser Plan muss alle Detailschritte und Einzelmaßnahmen aufzeigen sowie Verantwortlichkeiten und Termine regeln. Wenn man dieses Projekt um­fassend beleuchtet, wundert man sich schnell, wie umfangreich er wird. Der Umfang macht zugleich die notwen­digen Ressourcen deutlich, die in vielen Bereichen geschaffen werden müssen.

Hier ist das nächste Problem: Das Tagesgeschäft lässt zu wenig Zeit für die Umsetzung des Projektes RoHS bekommt zweitrangige Priorität. Es ist aber ein A-Projekt und muss auch so angesiedelt sein, in der Priorität, in den Ressourcen, in der Sensibilität aller Mitarbeiter und der Geschäftsleitung.

Einkauf und Lager

Behinderungen innerhalb des Projektes kommen auch aus dem Problembereich der aktuellen EDV. Schon lange be­kannt, nicht angegangen und nun teil­weise das K.O.-Kriterium. Bisher konnte man sich um das Problem mit Ersatzprozessen herum lavieren. Das wird nun nicht mehr möglich sein. Themen wie, Lagerstandorttrennung ohne oder mit Artikelnummertrennung, Statuskenn­zeichnung, Temperaturprofilhinterlegung, Wareneingangs- und Bestellsteuerung über RoHS-Identifikation stehen auf der Tagesordnung.

Zudem bedarf auch die Belegsteuerung unterschiedlicher Stücklistenvarianten entsprechend dem Kundenstatus „RoHS-pflichtig“ oder „bleipflichtig“ intelligenter EDV-Lösungen.

Aber auch EDV-Tools, die den Einkaufs- und Vertriebsbereichen Möglichkeiten geben, einen optimalen Umstellungstermin zu ermitteln, sind selten vorhanden. Die Folge sind Unsicherheiten in der Terminaussage zum Umstellungstermin, die zu Risiken bei OEMs und EMS führen.

Diese komplexe Aufgabe ist durch Mus­kelkraft und Manpower nicht zu leisten. Leider ist die RoHS-Umstellung noch nicht genug in der Bestell- und Lager­welt zu erkennen. Die Einkaufsbereiche haben noch nicht ausreichend die Bestellreichweiten von bleihaltigem Material reduziert, Verträge mit den Zulieferern auf Umstellungsbelange nachverhandelt, Datenbanken mit Umstellungsterminen gefüllt, Lager­bestände der bleihaltigen Materialien reduziert. Besonders bei den Lager­reichweiten habe ich große Sorge, denn nur bei einigen Unternehmen sehe ich hier einen Fortschritt.

Für alle, die sich mit der Umsetzung beschäftigen, ist genau hier eine wichtige Messgröße.

Materialdeklaration und Kennzeichnung

Ein weiteres schwerwiegendes Problem ist das Begriff- und Kennzeich­nungschaos. Es macht den Anwendern im produzieren Gewerbe das Leben schwer. Bleifrei contra RoHS. Der feh­lende Qualifikationsgrad der Organisa­tionen und hier insbesondere der Pro­duzenten und den Materialzulieferern führt dazu, das Aussagen gemacht wer­den wie z.B. „die bleifrei bezeichneten Bauelemente sind RoHS-konform und lassen sich grundsätzlich in RoHS-Ver­arbeitungsprozessen einwandfrei verar­beiten“.

Jeder, der sich mit der RoHS-Umstel­lung und der Positionierung der Materi­alproduzenten beschäftigt hat weiß, wie falsch diese Aussage sein kann. Es ist einfach ein Irrglauben und bringt die Produzenten in Teufelsküche. Wohl bemerkt, in Einzelfällen kann die Aussa­ge richtig sein, aber als Grundsatzaus­sage ist sie falsch. Im ersten Schritt führt das bei der Projektgestaltung zur Falschausrichtung. Der Begriff „Bleifrei“ wird für Bestellungen übernommen, Da­tenbanken werden entsprechend aufge­baut, Arbeitsanweisungen erstellt, Kenn­zeichnungen vorgenommen, Mitarbeiter qualifiziert.

Im zweiten Schritt bei der Verarbeitung mit höherer Temperatur kommt es zur Vorschädigung des Materials, die in der Fertigung bzw. erst im Feld erkannt wird. Ganz zu schweigen von der falschen RoHS-Konformität. Die Korrektur dieser Falschannahme ist mit großem Aufwand verbunden. Die Unternehmen haben schon heute eine schwere Aufgabe mit der RoHS-Umstellung vor sich und soll­ten auf solche Fehlstarts tunlichst ver­zichten. Ich appelliere an die vielen Zu­lieferer, offen, ehrlich und qualifiziert Klartext mit dem Kunden zu reden, den Produzenten zu helfen und Schaden für alle zu vermeiden. Das ist die Verant­wortung der Materialzulieferwelt.

Zusammenspiel in der Lieferkette

Baugruppenproduzenten, die ultimativ die Umstellung der Materialanlieferun­gen auf RoHS z.B. ab dem 01.10.2004 oder 01.04.2005 verlangen und das mit der Androhung auf Rücklieferung bei bleihaltigen Lieferungen, sollten sich darüber bewusst werden, das kann man sich zwar wünschen entbehrt aber einer Realisierungsbasis. Nicht alle Bauteile sind schon heute in Serie RoHS-kon­form lieferfähig. Ganz abgesehen davon, dass Rücklieferungen in dieser Form die angespannte Lage noch mehr belasten. Runde Tische, als qualifizierte Verständigungsbasis, haben sich schon in der nahen deutschen Geschichte be­währt. Auch hier könnte sich diese Me­thode bewähren. Muskel- und Macht­spiele helfen nicht!

Aber auch die OEM haben eine Verant­wortung gegenüber den EMS. Sammel­schreiben an die EMS, „…Umstellung hat bis zum 01.07.2005 zu erfolgen, danach sind bleihaltige Lieferungen unzulässig…“

sind ebenfalls nicht zielführend. Auch der OEM hat im Vorfeld Vorarbeiten zu leisten. Prozesse sind zu definieren, wie

  • Materialbeschaffungsfreigaben von RoHS-Material,
  • Umgang mit 0-Serien,
  • Zulassungen der RoHS-Produkte,
  • OEM-Zeichnungen sind ggf. auf RoHS umzustellen (Mechanik),
  • Lotvorgaben und andere Fertigungs­spezialitäten sind freizugeben.

Übergangschecklisten und RoHS-Audit

Um diesen Prozess besser zu managen empfehle ich den EMS-Providern, Über­gangschecklisten anzufertigen. Diese Checklisten führen zu einer Vereinheit­lichung des Vorgehens. Darin sollten alle Punkte aufgeführt werden, die ab­zustimmen sind. Der EMS sollte die Übergangscheckliste erstellen, da er öfter als der OEM mit der Überleitung-von Produkten der Kunden betroffen ist. Einige Unternehmen greifen bei der Umstellung auf externe Hilfe zurück. Sie lassen ihr RoHS-Projekt auditieren. Sie verschaffen sich einen Überblick von unabhängiger Seite, mit dem Vorteil, dass Fehler und Ver­säumnisse aufgedeckt werden, praktische Lösungen aufge­zeigt und das Rad nicht immer von neuem allein erfunden werden muss.

Ein weiterer Vorteil: Sie können auch gegenüber ihren Kunden die Qualität ihres Projektes belegen. Das schafft zusätzliches Vertrauen, dass in den nächsten angespannten Monaten mehr als notwendig sein wird. Und das macht sie zum Gewinner. Und Gewinner brauchen wir nicht nur bei der RoHS-Umstel­lung. Wir brauchen Gewinner im globalen Wettbewerb, Gewinner in der Zukunftssicherung, Gewinner beim Erhalt von Arbeitsplätzen.

Die Chance haben wir. Wir müssen sie nur mit dem Einsatz, wie wir ihn schon oft in der Vergangenheit gezeigt haben, wenn wir an der Wand standen, nutzen. Hier können wir uns vom ausländischen Wettbewerb abheben. Denn Ordnungs­mäßigkeit ist eine Tugend die man den Deutschen zuordnet und die bei RoHS zwingend notwendig ist.

Ich freue mich auf den Erfolg, den wir dadurch erreichen kön­nen und möchte Sie nachdrücklich in ihrer Arbeit ermuntern durchzuhalten und den Sieg nach Hause zu tragen.

Die Chancen und Risiken bei der RoHS-Umstellung

Die RoHS-Umstellung kann ein erhebliches Risiko, aber auch eine Chancen für die Unternehmen bedeuten.

Die Risiken:

  • Das Projekt wird zu spät und nicht allumfassend behandelt. Das kann zum Geschäftsverlust führen, denn Kunden können nicht termingerecht mit RoHS-konformen Produkten beliefert werden.
  • Kundenanfragen werden nicht RoHS-spezifisch bearbeitet, was zur reduzierten Auftragsneugewinnung führt. Kalkulationen, Angebote, lfd. Produktpreise werden nicht auf RoHS-Belange angepasst. Aufträge können dadurch nur verlustbringend produziert werden.
  • Bleihaltige Materialbestände werden nicht abgebaut, sondern bauen sich weiter auf. Materialabschreibungen vernichten Kapital und Erträge.

Die Chancen:

Notwendige Prozessneuanpassung innerhalb der Unternehmen führt zur Risiko- und Bestandsreduzierung bei den Unternehmen.

Die Folgen sind reduzierte Gemeinkostensätze durch Verringerung der,

  • jährlichen Materialabschreibungen,
  • Finanzierungskosten für Materialbestände,
  • Ressourceneinsparungen innerhalb der indirekten Geschäftsprozesse,
  • verbesserte Steuerungsprozesse.

Damit einhergehen nennenswerte Ertragssteigerungen, die bei vielen EMS-Providern dringend notwendig sind. Qualifiziertes Bedienen von Produkten nach RoHS-Standard schafft Vertrauen bei den Kunden und verbessert die Kundenbindung. Das führt zu einem Wettbewerbsvorteil. Der Preisvorteil der „Billiganbieter“, die RoHS nicht allumfassend bedienen können, verliert an Priorität. Wir erreichen endlich das was wir benötigen, das was wir verdienen: Qualität geht vor Preis.

In Summe führen diese Maßnahmen zur verstärkten Gewinnung von Neuaufträgen bzw. die Unternehmen werden potenzieller Partner für Outsourcing-Projekte.

„Begreifen Sie RoHS als Chance“

„Viele Probleme, die durch das RoHS-Projekt bei der prozesstechnischen Qualifikation außerhalb der Fertigung, insbesondere der Materialwirtschaft offensichtlich werden, sind schon heute eine Belastung für die Unternehmen. Belastungen, welche die Unternehmen im Wachstum behindern und die in der Auswirkung zu wettbewerbsunfähigen Preisen führen. Genau hier liegt die Chance innerhalb der RoHS-Umstellung.

Überall, wo im Zuge der Umstellung echte Prozessanpassungen vorgenommen wurden, reduziert sich das Altmaterial und Lagerumschläge verbessern sich spürbar. Lagerumschlage von 2 bis 4 turns gehören der Vergangenheit an. Für alle die, die allerdings so weiter machen wie zuvor, ist die Verschrottungsgefahr von ca. 30% wahrscheinlich und das mit allen Auswirkungen, die damit verbunden sind.“

(Hubertus Andreae)

Steht Ihr RoHS-Projektplan?

Der Prozessexperte empfiehlt für die RoHS-Umstellung die Bildung eines Projektteams mit folgenden Aufgaben:

  • Bestimmung eines technisch/kaufmännisch denkenden und handelnden Projektleiters,
  • Bildung eines bereichsübergreifenden Projektteams,
  • Erstellung eines umfassenden Projektplans,
  • umfassende Schulung aller Mitarbeiter,
  • Produktanalysen,
  • umfassende Prozessanalysen auf die möglichen Einflüsse durch RoHS,
  • Prozessmodifikation: Ordereingang, technologische Orderdifferenzierung, Umstellung der Materialbestellungen, Wareneingangsneuausrichtung, Selektive Materialeinlagerung und -auslagerung, differenzierte Fertigungssteuerung, technologische Prozessmodifikation, Produktqualifizierung, etc.,
  • EDV-Anpassungen, um die technologische Differenzierung in allen Unternehmensprozessen und in allen Bereichen zu erkennen und zu steuern,
  • Lagerbestandsanalyse, -trennung, und -kennzeichnung,
  • Vertragsmodifikation,
  • Projektaudit,
  • Prozessanpassungen mit externen Partnern: Kunden – Lieferanten,
  • Investitionsplanung und
  • technische Fertigungsqualifizierung.

Wer zu spät kommt …

Noch fällt Auftragsfertigern und EMS-(Electronic Manufacturing Service-)Providern die Fehlentwicklung bei der Umstellung auf RoHS nicht auf, da sich der Kundendruck in Grenzen hält. Wenn aber dieser Punkt überschritten ist und der Dienstleister keine konzeptionelle Klarheit hat, das Vertrauen signalisiert, dann werden dann werden und müssen die Kunden handeln. Volumenumklappung und Verlagerung werden die Folge sein zu Lasten der bisherigen Produzenten. Ein OEM braucht einen EMS der qualifiziert RoHS-konform fertigen und dem er Vertrauen entgegenbringen kann. Oft schätzen Unternehmen die Betroffenheit von RoHS falsch ein. Sie meinen nicht oder nur geringfügig betroffen zu sein, da die Produkte, die gefertigt werden, nicht zu den umstellungspflichtigen Klassen gehören. Dies kann ein schwerwiegender Irrglauben sein.

Schon seit Monaten zeichnet sich ab, dass trotz Ausnahmeregelung OEMs in Automotive, Medizin- und Sicherheitstechnik hochgradig an einer frühzeitigen, freiwilligen Umstellung interessiert sind. Sie wollen einen nachzuvollziehenden Marketingeffekt am Markt für sich nutzen. Diese Unternehmen bringen dem Dienstleister, der dem nicht folgen kann, nur wenig Verständnis entgegen, denn er behindert sie in einer wichtigen Vorwärtsstrategie.

*Hubertus Andreae ist Experte für Materialwirtschaft und Prozessoptimierung. Zusätzliche Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind die sichere RoHS-Überleitung in den Einkaufs- und Vertriebsprozessen sowie Vorträge und Seminare zu diesem Thema.

dreiplus Tel. +49(0)30 84417913

Redakteur: Claudia Mallok

ELEKTRONIKPRAXIS NR. 17 – 9. September 2005

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